Kein Muttertag

(Wer kein Blut sehen kann sollte den ersten Absatz überspringen.)

Eigentlich wäre der Wecker heute früh gar nicht nötig gewesen – es war so warm in den Zimmern dass die meisten ohnehin nur phasenweise geschlafen haben. Um 6.15 Uhr sollen die Koffer am Bus sein, damit Marc in Ruhe einladen kann. Da das Hotel keinen Lift hat müssen die schweren Koffer die diversen verwinkelten Treppen hinauf- und heruntergewuchtet werden. Mutter übersieht eine Stufe und fällt mit Koffer ein paar Stufen runter. Das Ergebnis ist eine sehr heftig blutende Platzwunde, die eine Blutspur hinterlässt die jedem Splatterfilm zur Ehre gereichen würde. Zum Glück ist einer aus der Gruppe Arzt und versorgt sie sofort, Claudia versucht einen Notarztwagen zu organisieren, scheitert aber am englischen Gesundheitssystem (Frage am Telefon: „Ist die Menge Blut, die sie verloren hat, so viel dass es in eine Teetasse passt? Wenn nicht kommen wir nicht.“). Unser Arzt legt einen Druckverband an, und Mutter kann nach einiger Säuberung zum Frühstück gehen. Allerdings hat die Sache reichlich über alle Kleidungsstücke gespritzt, die nur notdürftig gesäubert werden können, und mit den Blutflecken und dem Druckverband am Kopf sieht sie schon durchaus spektakulär aus.

Der Bus rollt wie vorgesehen kurz nach 7 Uhr vom Parkplatz, als Claudia fragt: „Hat auch jeder seinen Zimmerschlüssel abgegeben?“ Oha! Einige haben in der Hektik von heute früh den Schlüssel vergessen, Mutter und ich zum Beispiel. Also stopp, Claudia spurtet zurück zur Rezeption und bringt die Schlüssel zurück, und nun geht es wirklich los – direkt in den ersten Stau des Tages, denn wir landen natürlich mitten im Berufsverkehr.

Wir schaffen trotz allem eine gute Zeit und sind gegen halb 11 in Heathrow. Eigentlich hatte Claudia uns gestern abend online eingecheckt, aber das Hotel hat es nicht geschafft meinen Boarding Pass auszudrucken, und Mutter muss ohnehin an den Schalter, weil Passagiere, die mit nicht elektronisch lesbaren Dokumenten sondern z.B. mit älteren Personalausweisen einchecken, nicht online abgefertig werden können. Wir rollen unsere Koffer also zum British-Airways-Schalter, wo sich bereits eine lange Schlange gebildet hat. Und jetzt macht sich Mutters mitleiderregendes Aussehen bezahlt, denn sofort kommt uns eine besorgt dreinschauende BA-Mitarbeiterin entgegen und fragt ob wir vielleicht Hilfe brauchen? Ach so, wir wollen am Schalter einchecken? „This way, Madam“ heißt es, und wir werden an der Schlange vorbei zu einem Serviceschalter geleitet und sofort abgefertigt.

Soweit, so gut. Als nächstes geht es zur Security. Wir legen brav alles aufs Band, die Rucksäcke werden durchleuchtet und wir werden durchgewinkt. Mutters Rucksack jedoch taucht auf einem Nebengleis wieder auf. Hello, could we have the backpack please? Ein ernster Mitarbeiter winkt Mutter zur Seite und teilt lakonisch mit, er müsse ihren Rucksack durchsuchen. „Please open it for me, Ma’am.“ Und nun kommen einige illegale Sachen zutage: Ein Fläschchen Mückenmittel, eine Tube Sonnencreme, eine Tube Salbe, ein paar Kosmetikfläschchen … Oh. Hm. Haben wir glatt vergessen, ist ja verboten. Der Flughafen spendiert die vorgeschriebene wiederverschließbare durchsichtige Plastiktüte, findet noch ein paar illegale Augentropfen, durchsucht den Rucksack mit einer Art Metallsuchgerät, und dann darf Mutter den komplett ausgeräumten Rucksack vor Ort neu packen.

Wir essen eine Kleinigkeit, finden unser Gate und dürfen auch irgendwann rein ins Flugzeug. Wie üblich stehen freundliche Stewardessen dort und begrüßen die Passagiere. Mutter geht an ihnen vorbei, und als die Stewardess Mutter von hinten sieht erschrickt sie nun doch: „Excuse me? Madam? Madam?!?“ Mutters Hörgerät ist bei dem Sturz leider kaputt gegangen, sie hört also nicht wirklich gut. Besorgt wendet sich die Stewardess an mich: „Has she had an accident? Has she been to a doctor?“ Völlig berechtigte Reaktion bei blutigem Verband und blutbefleckter Kleidung, aber ich kann ihr glaubhaft versichern dass Mutter zwar wirklich einen accident hatte, dass aber ein Arzt das gesehen und behandelt hat, und gesagt hat dass sie den Flug machen kann.

Nachdem das geklärt ist kommt als nächstes die Durchsage, dass in Heathrow zur Zeit so viel los ist dass wir erstmal andere Flieger durchlassen müssen. Der Kapitän sagt etwas von „circa 20 Minuten später“. Mutters opitmale Bahnverbindung nach Hause ist ohnehin schon auf Kante genäht, das könnte jetzt also knapp werden. Es wäre kein Drama, denn die Fahrkarte ist nicht zuggebunden, aber schade wärs doch. Außerdem kann sie nicht wie geplant in Deutz umsteigen, weil es dort keine Rolltreppen gibt, was mit dem schweren Koffer einfach nicht zu machen ist, also muss sie im Hauptbahnhof umsteigen, was wieder mehr Zeit kostet.

Flight Control hat ein Einsehen und lässt uns früher starten als erwartet, und dank Rückenwind und ein bisschen mehr Speed kommen wir wahrhaftig fast pünktlich an. Das Gepäck ist sofort da, dafür hängen wir wieder lange bei der Passkontrolle fest. Die Zeit reicht noch um den ersten angepeilten Zug zu bekommen, nicht zuletzt deswegen weil dieser mal wieder Verspätung hat.

Im Kölner Hauptbahnhof verlässt uns das Glück dann aber. Wir haben noch etwas mehr Verspätung eingefahren, was ein rechtzeitiges Umsteigen nahezu unmöglich macht, und als wir in Köln aussteigen herrscht auf dem Bahnsteig ein solches Gedränge dass wir mehrere Minuten brauchen, mittels Rolltreppe (vor dem Aufzug stehen schon 6 Leute mit riesigen Gepäckstücken) vom Gleis in die Bahnhofshalle zu kommen. Mutter muss eine Stunde auf den richtigen Anschluss warten. Ich versuche ihren Bruder telefonisch zu erreichen damit er sie von der Haltestelle abholt, aber er ist offenbar nicht da. Mutter wird nun eine knappe Stunde im Hauptbahnhof warten, zum Glück ist das Wetter ja schön und sie wird sich nach Möglichkeit draußen ins Café setzen. Ich renne zu meinem nächsten Zug und sehe grade noch seine Rücklichter. Erfreulicherweise kommt der nächste schon eine Viertelstunde später, und ich nutze die Zeit um mir eine Flasche Wasser zu besorgen.

Und das war’s dann auch schon. Wir haben 10 wunderbar sonnige Tage in englischen Gärten, englischer Natur und englischen Hotels verbracht, viele schöne Fotos gemacht und viele schöne Erinnerungen gebunkert. Alles in allem war das eine richtig schöne Reise, die wenn auch nicht perfekt, aber doch gut organisiert war und sich gelohnt hat. Englische Gärten sind auf jeden Fall eine Reise wert!